
Haie gelten oft als urtümlich, kalt und rätselhaft. Doch wer sich näher mit ihrer Fortpflanzung beschäftigt, stößt auf eine Überraschung: Viele Haiarten legen keine Eier – sie bringen ihre Jungen lebend zur Welt. Diese Form der Fortpflanzung, die bei Säugetieren selbstverständlich ist, ist in der Unterwasserwelt eine Besonderheit.
Doch „lebendgebärend“ ist nicht gleich „lebendgebärend“: Es gibt große Unterschiede zwischen den Haiarten, was Entwicklung, Schutz und Ernährung der Embryonen betrifft. In diesem Beitrag werfen wir einen genaueren Blick auf die faszinierende Vielfalt lebendgebärender Haie – und vergleichen die wichtigsten Vertreter dieser Fortpflanzungsform.
Was bedeutet lebendgebärend bei Haien?
Zunächst zur Begriffsklärung: Lebendgebärende Haie nennt man vivipare Haie. Das bedeutet, dass der Nachwuchs nicht in Eiern außerhalb des Körpers heranwächst, sondern im Mutterleib. Je nach Art unterscheidet man dabei:
- Ovoviviparie: Die Eier verbleiben im Mutterleib, schlüpfen dort, die Mutter versorgt sie aber nicht über eine Plazenta.
- Viviparie mit Plazenta: Der Embryo ist wie bei Säugetieren über eine Plazenta mit der Mutter verbunden und wird darüber ernährt.
Diese Unterschiede sind biologisch bedeutsam – und beeinflussen Verhalten, Lebensweise und sogar die Verbreitung einzelner Arten.
1. Sandtigerhai – Brutaler Bruderhunger im Mutterleib
Der Sandtigerhai (Carcharias taurus) ist ein Paradebeispiel für Ovoviviparie – mit einer extremen Eigenheit: Im Mutterleib kämpfen die Jungtiere bereits ums Überleben. Nur das stärkste Embryo jedes Eierstocks überlebt – es frisst seine Geschwister noch vor der Geburt.
Diese Form nennt man intrauterinen Kannibalismus (auch „Adelphophagie“). Der Sandtigerhai bringt daher meist nur zwei Jungtiere pro Wurf zur Welt – aber die sind bereits über einen Meter groß und bestens auf das Leben vorbereitet.
2. Hammerhaie – Plazentaträger unter den Haien
Ganz anders funktionieren die Lebendgeburten beim Hammerhai (Sphyrna spp.). Viele Hammerhaie sind echte vivipare Arten: Sie bilden eine Plazenta, ähnlich wie Säugetiere, über die Sauerstoff und Nährstoffe transportiert werden.
Einige Hammerhai-Arten bringen über 30 Jungtiere pro Wurf zur Welt – im Gegensatz zum Sandtigerhai also eher auf „Masse“ ausgelegt. Die Jungtiere sind bei der Geburt etwa 50–70 cm groß.
3. Schwarzspitzen-Riffhai – Effiziente Reproduktion in tropischen Riffen
Der Schwarzspitzen-Riffhai (Carcharhinus melanopterus) lebt in flachen tropischen Gewässern und bringt zwei bis fünf lebende Junge zur Welt – nach einer Tragzeit von bis zu 16 Monaten.
Er ist ein Beispiel für eine adaptive Reproduktionsstrategie: Wenige Nachkommen, aber optimal angepasst an das jeweilige Riffsystem. Die Jungen suchen nach der Geburt sofort seichte Lagunen auf – sogenannte „Kinderstuben“, die Schutz vor Fressfeinden bieten.
4. Schweinshai – Unscheinbar, aber vivipar
Auch der Schweinshai (Oxynotus centrina) gehört zu den lebendgebärenden Haien, obwohl er selten beobachtet wird. Er ist klein, plump und lebt meist in größeren Tiefen des Atlantiks und Mittelmeers.
Seine Fortpflanzung ist typisch ovovivipar: Die Embryonen ernähren sich vom Dotter, den das Ei zur Verfügung stellt. Es gibt keine Plazenta, aber auch keinen Kannibalismus. Die Jungtiere werden mit etwa 20–25 cm Länge geboren.
5. Makohai – Geschwindigkeit beginnt vor der Geburt
Der Makohai (Isurus oxyrinchus) gehört zu den schnellsten Fischen der Welt – und diese Energie zeigt sich schon im Mutterleib. Wie der Sandtigerhai bringt auch er wenige, aber sehr kräftige Nachkommen zur Welt, die teils intrauterinen Kannibalismus zeigen.
Die Tragzeit beträgt beim Makohai etwa 15–18 Monate. Die Jungtiere sind bei der Geburt bereits fast 70 cm groß – und machen sich schnell aus dem Staub.
6. Tigerhai – Große Würfe, große Verantwortung
Der Tigerhai (Galeocerdo cuvier) ist einer der größten lebendgebärenden Haie. Weibchen bringen bis zu 80 Junge zur Welt – ein Rekord unter den Großhaien.
Die Fortpflanzung ist ovovivipar, wobei die Jungen vom Eidotter ernährt werden. Aufgrund der großen Wurfgröße kommt es jedoch nicht zu Kannibalismus – die Ressourcen im Mutterleib reichen aus.
Warum sind Haie lebendgebärend? Vorteile der Strategie
Lebendgeburt ist bei Haien eine evolutionäre Anpassung an spezielle Lebensbedingungen:
- Schutz vor Räubern: Eier sind anfällig für Fressfeinde. Im Mutterleib sind Embryonen sicherer.
- Höhere Überlebensrate: Weniger, aber dafür kräftigere und besser entwickelte Nachkommen.
- Flexibilität: Embryonen können länger im Körper bleiben, wenn Umweltbedingungen schlecht sind.
Allerdings bedeutet es auch: weniger Nachkommen pro Jahr, was viele Arten anfällig für Überfischung macht. Mehr dazu findest du unter Gefährdung und Schutzmaßnahmen.
Vergleichstabelle: Lebendgebärende Haie im Überblick
| Art | Typ | Nachwuchs pro Wurf | Besonderheit |
|---|---|---|---|
| Sandtigerhai | Ovovivipar | 2 | Kannibalismus im Mutterleib |
| Hammerhai | Vivipar | 20–40 | Mit Plazenta wie bei Säugetieren |
| Schwarzspitzen-Riffhai | Vivipar | 2–5 | Junge suchen Schutz in Lagunen |
| Schweinshai | Ovovivipar | 4–8 | Tiefsee, selten erforscht |
| Makohai | Ovovivipar | 4–18 | Sehr große, schnelle Jungtiere |
| Tigerhai | Ovovivipar | bis zu 80 | Große Wurfgröße ohne Plazenta |
Fazit: Vielfalt statt Einheitsform
Haie sind nicht nur Jäger – sie sind auch Wunder der Fortpflanzung. Lebendgeburt ist kein Zufall, sondern eine raffinierte Überlebensstrategie. Und sie zeigt: Haie sind weit mehr als klischeebehaftete Räuber.
Egal ob mit Plazenta wie der Hammerhai, mit Brutkämpfen wie beim Sandtigerhai oder mit großem Nachwuchsreichtum wie beim Tigerhai – lebendgebärende Haie sind ein Paradebeispiel für die Vielfalt des Lebens unter Wasser.

